Predigt zum Gottesdienst am
6. Sonntag nach Trinitatis, 03.07.2016 in
Michelfeld und Gnadental
„Denn
das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden;
uns
aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft.“
19 Denn es steht
geschrieben (Jesaja 29,14): »Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen,
und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.«
20 Wo sind die Klugen? Wo
sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die
Weisheit der Welt zur Torheit gemacht?
21 Denn weil die Welt,
umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte,
gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran
glauben.
22 Denn die Juden fordern
Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit,
23 wir aber predigen den
gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit;
24 denen aber, die
berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und
Gottes Weisheit.
25 Denn die Torheit
Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker,
als die Menschen sind.
Liebe Gemeinde, In meiner
aktiven Zeit: Diskussion mit Schülern über Religion.
Die interessantesten
Fragen stellten muslimische Schülerinnen und Schüler, darunter die:
„Wie können Sie an einen
Gott glauben, der elend am Kreuz gestorben ist? Das kann doch nicht Gott sein!“
Die christlichen
Schülerinnen und Schüler guckten mich gespannt an nach dem Motto:
„Uff, ich hoffe, er kann
das jetzt anständig beantworten!“
Das ist aber doch
interessant! Es ist dieselbe Frage, auf die der Apostel Paulus vor über 2000
Jahren eingegangen ist in seinem Brief an die Gemeinde:
Ist das Wort vom Kreuz
eine Torheit oder eine Gotteskraft? Und es ist gut und wichtig, wenn Christen
und Muslime in unserem Land, Juden und Humanisten über Gottesbilder und
Grundüberzeugungen miteinander sprechen.
Wer bin ich? Was glaube
ich? Was ist meine Lebenshaltung.
Gut, wenn wir darüber im
Gespräch sind!
Ich fand deshalb auch den
Aufschrei merkwürdig, als eine muslimische Ministerin in Niedersachsen ihren Amtseid
schwor: „So wahr mir Gott helfe!“
Die Trennung von Staat
und Kirche ist für beide Seiten wichtig.
Wir leben in einem freien
Land, in dem es eben auch Religionsfreiheit gibt – Gott sei Dank! Und es ist
gut, wenn Menschen offen legen, was sie glauben, vor wem sie sich verantworten.
Das ist wesentlich besser
als Geheimbünde oder Sekten, bei denen niemand weiß, was wirklich Zugehörigkeit
und Grundüberzeugung sind.
Nun, der Apostel Paulus
war auch nur ein Mensch.
Sein Verhältnis etwa zu
den Frauen in der Gemeinde war – sagen wir mal – suboptimal, oder angespannt.
Aber er hat es immer
wieder geschafft, zentrale Fragen des christlichen Glaubens grundlegend zu
durchdenken.
Und zwar auf eine Art und
Weise, die bis heute anregend und weiterführend ist.
Etwa, was er über
„Torheit oder Gotteskraft“ sagte.
Wer die Geschichte des
Jesus von Nazareth unter weltliche Kategorien anschaut, muss sagen, es ist die
Geschichte eines Scheiterns.
-
Da wird ein
Kind in ärmlichen Verhältnissen geboren, die Herkunft ist nicht so ganz
geklärt.
-
Es wächst auf
und verhält sich nicht gerade konform, etwas merkwürdig ist dieser Junge, der
die Eltern verlässt und im Tempel die Schrift auslegen will.
Obwohl: alle Eltern
wissen:
manchmal verstehst du
wirklich nicht, was in den Kindern vor sich geht. Vielleicht war das ja auch
geradezu normal…
-
Später sammelt
der junge Mann einige Männer und Frauen als Freundeskreis um sich, die
allerdings ebenfalls nicht gerade zur Elite der Gesellschaft gehören. Geld
macht er so jedenfalls nicht!
Und mancher wird gedacht
haben: Die armen Eltern! Hätte er doch die Werkstatt des Vaters übernommen!
-
Das Ende ist
tragisch: er wird als Verbrecher hingerichtet.
Das ist nicht gerade eine
„Hollywood-happyend-Story“.
Und die Besetzung ist
auch schlecht!
-
Einer der
besten Freunde verrät ihn bei erst bester Gelegenheit,
-
eine Frau in
seiner Nähe hat einen durchaus zweifelhaften Ruf.
Wahrhaftig keine
Elitetruppe!
Das konnte ja nichts
werden!
Genau das ist die Analyse des ersten Blickes.
Eine merkwürdige Gemeinschaft, die so einen
Versager verehrt, ja zu ihm betet! Die glaubt: das ist Gottes Sohn...
…. Doch, aus dem
Blickwinkel des Glaubens sieht die
Geschichte aber ganz anders aus.
Gott wagt es, den
Menschen ganz nahe zu sein, ja auf die Menschen selbst angewiesen zu sein, in
Beziehung zum Menschen zu treten.
Gott kennt die Menschen,
weil Gott selbst Mensch war.
Gott weiß um Konflikt,
Angst und Gewalt, weil Gott kein ferner Weltenlenker ist, sondern nahe beim
Menschen.
Gott kann uns Lebenskraft
geben, weil Gott erfahren hat, wie wichtig es ist, solche Kraft zu finden.
Und am Ende kehrt Gott
die Verhältnisse um, weil Gott genau das in Frage stellt, was Menschen nicht in
Frage stellen: der Tod ist das Ende des Lebens.
Was das menschliche Auge
als Sackgasse sieht, erfährt das Auge des Glaubens als Übergang.
Wo der Arzt sagt: Exitus,
Schluss-Aus-Vorbei, sagt der Glaube: Introitus, Übergang in ein anderes Leben,
eine andere Wirklichkeit.
Das ist übrigens in der Konsequenz
gerade keine Weltflucht, kein Opium, mit dem sich das Volk ablenken sollte von
den Auseinandersetzungen der Welt.
Es ist keine Vertröstung
auf ein besseres Jenseits, um Ungerechtigkeiten der Welt zu rechtfertigen.
Sondern es bringt eine
radikale Freiheit mit sich, die Freiheit, sich einzumischen in die Welt.
Klar einzutreten für
Gerechtigkeit schon in dieser Welt, weil nur so eine Spur von Gottes
zukünftiger Welt gelegt wird.
Weil die Todesangst
überwunden ist, entsteht eine radikale Freude am Leben, die dafür streitet,
dass Menschen das Leben in Fülle haben.
Alle Menschen, nicht nur
eine Elite der Menschheit.
Die Bedeutung des Kreuzes
Als
ich in früheren Jahren einmal bei einer größeren Einweihungsfeier predigte,
schrieb anschließend eine Zeitung:
„der Pfarrer Bergius, der
ein Kreuz um den Hals trägt, das bei Ungläubigen als modisches Accessoire
durchginge, hat hier ein Heimspiel.“
Ich kenne den Redakteur
nicht, der das geschrieben hat, aber es war interessant.
Denn wie müsste ein Kreuz
beschaffen sein, das nicht als „Accessoire“ gilt.
Was ist die Vorstellung
des Autors?
Dick und fett und golden?
Groß mit Diamanten
besetzt?
Wuchtig wie ein
Ritterkreuz?
Wobei die Gedankenkette
zum Kreuzritter schnell gedacht wäre….
In der Tat, ich finde es
merkwürdig, wenn Menschen sich ein Kreuz umhängen, weil sie das irgendwie
schmückend finden.
Es ist für mich eine
Glaubensaussage, eine bewusste Entscheidung, ein Kreuz zu tragen und nicht
modischer Schnickschnack..
Wer ein Kreuz trägt,
bekennt sich zum Gekreuzigten, das heißt zum gedemütigten Christus.
Es geht um den, der sein
Kreuz getragen hat.
Ein Kreuz zu tragen sagt
etwas aus über eine Lebenshaltung.
Und die kann nicht
triumphalistisch sein, sondern sie weiß etwas von der Demut gegenüber dem Leben,
Das diese Lebenshaltung verletzbar macht, angreifbar, ohnmächtig.
Das Kreuz ist das Zeichen
der Freiheit, des Respekts vor der Würde jedes Menschen, sei er ein Verbrecher,
krank, sterbend, gedemütigt oder auch erfolgreich, leistungsstark, glücklich.
„Gott ist ein Freund des
Lebens“, der um die Ohnmacht weiß und um das Sterben.
Als ich in einer
Diskussion einmal gefragt wurde, ob Christen einen Karikaturenstreit anzetteln
würden, musste ich zugeben, dass es so etwas auch bei Christen gab.
Denken wir an den
Christus mit der Gasmaske von George Grosz.
Als 21-Jähriger erlebt er
den Ersten Weltkrieg.
Er ist schockiert und
zeichnet den Gekreuzigten als Opfer seiner Zeit.
Am Rand der Zeichnung
steht:
„Maul halten und weiter
dienen“.
Es kommt zu einem
Blasphemieprozess – also zu einer Anklage wegen Gotteslästerung.
Grosz flieht 1933 in die
USA.
Seine Werke werden unter
den Nationalsozialisten als "entartete Kunst" dargestellt.
Ich denke, das war
keinesfalls Blasphemie!
Es hat Jesus gezeigt als
einen, der mitleidet.
Mitleidet mit den
Soldaten, die im ersten Weltkrieg so entsetzliche Sinnlosigkeit und Zerstörung
erlebt haben.
Jesus der Mitleidende mit
den Opfern der Geschichte – dafür steht das Kreuz.
Und genau das hat George
Grosz zum Ausdruck gebracht.
Letzten Endes kann keine
Karikatur unser Gottesbild beleidigen, weil die schlimmste Karikatur schon
stattgefunden hat.
Nämlich als Gott selbst
gekreuzigt wurde unter dem ironischen Schild: INRI – „Jesus von Nazareth, König
der Juden“.
Keine Karikatur kann das
toppen.
Und niemals dürfen daher
Christinnen und Christen eine Karikatur Gottes, - eines Gottes, dem sie sich
anvertrauen, zum Anlass nehmen, um gewalttätig zu sein.
Da gilt die
Kontrastgesellschaft, die Jesus ausruft, wenn er sagt: Selig sind die
Sanftmütigen!
Die Schwachheit Gottes
ist stärker als die Menschen sind. So endet der Predigttext.
Ich finde das
faszinierend.
Gott zeigt sich schwach,
ohnmächtig und rüttelt damit geradezu an menschlichen Vorstellungen von Stärke
und Schwäche.
Was für eine Provokation!
Bei uns gelten diejenigen
stark, die sich durchsetzen können, die Ellenbogen haben, denen etwas gelingt.
Eine Fußballmannschaft
ist gut, wenn sie siegt – wir haben gestern Abend alle mit gefiebert und
gezittert, bei dem Spiel Deutschland
gegen Italien.
Aber wenn ein Torwart
sich das Leben nimmt, weil er dem Druck nicht standhalten konnte, da gab es
große Betroffenheit – für wenige Tage – heut schon fast wieder vergessen.
Auch die Kirche muss sich
das immer wieder sagen lassen.
Es kann für sie keine
Theologie des Erfolges, keine Kirche von Triumph und Selbsterhöhung geben.
Wenn ein Kirchengebäude,
etwa wie diese Dorf-/Kloster/kirche - so schön ist, dann nicht zur Ehre der Kirche,
sondern „soli deo gloria“ – allein zur Ehre Gottes!
Wie sehr Schwäche zur
Stärke werden kann, können wir auch historisch sehen.
Ich denke an Helmut James
Graf von Moltke.
Anders als andere am
Widerstand Beteiligte hatte der Initiator des Kreisauer
Kreises das Attentat gegen Hitler abgelehnt.
Das Gebot „Du sollst
nicht töten“ war ihm wichtiger als die mögliche Rechtfertigung eines
Tyrannenmordes.
Und doch wird er im
Rahmen des Attentats gegen Hitler vom 20. Juli 1944 verhaftet.
Am 10.1.1945 schreibt er
einen Brief an seine Frau Freya von Moltke.
Von einer tiefen
Gotteserfahrung geprägt, reflektiert Moltke seinen bevorstehenden Tod.
Er weiß, er wird am
nächsten Tag zum Tode verurteilt werden.
Das Sterben ist nahe.
In dieser Situation
spricht er mit einer bewegenden Zuversicht davon, wie er sich gehalten weiß von
Gott, dem er sich anvertraut hat.
Wie demütigend die
Auseinandersetzungen vor dem Volksgerichtshof waren, kann nachempfinden, wer
einmal die Filme gesehen hat, wie sie dort stehen, die
Angeklagten.
Die Gürtel wurden ihnen
genommen, damit die Hosen rutschen und sie ein möglichst schäbiger Anblick
sind.
Und Roland Freisler brüllte geifernd auf sie ein.
Aber Helmuth James von
Moltke blickt auf diese Tage zurück und schreibt:
„Wie gnädig ist der Herr
mit mir gewesen! Selbst auf die Gefahr hin, dass das hysterisch klingt: ich bin
so voll Dank, eigentlich ist für nichts anderes Platz.
Gott hat mich die 2 Tage
so fest und klar geführt: der ganze Saal hätte brüllen können, wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und es
hätte mir gar nichts gemacht...“
Da zeigt sich in aller
Schwäche Glaubenskraft gegen all die Mächte und Gewalten, die so selbstgewiss
waren!
Ein solcher
Widerstandsgeist gegen den Zeitgeist zeigt uns deutlich wie Torheit zu Weisheit
werden kann!
Ich denke als anderes
Beispiel an einen Menschen, der mitten im Leben an Krebs erkrankt ist.
Ein von Energie,
Lebensfreude und Gesundheit strotzender Mann mit Familie und vielen
Lebensplänen.
Er hat – für viele
überraschend - die Krankheit angenommen, ist mit Würde seinen letzten Weg
gegangen.
Er hat sich verabschiedet
und das Leben zurück gegeben in Gottes Hand.
Gerade als er schwach
war, war er ganz besonders stark.
Liebe Gemeinde, dafür
steht das Kreuz!
Gottes Schwäche, ja
Gottes Ohnmacht angesichts von Gewalt und Zerstörung von Leben, ist langfristig
stärker als alle menschlichen Kategorien.
Wer das glauben darf,
dessen Leben verändert sich radikal.
Und zwar nicht hin zu
Leid und Traurigkeit, sondern hin zu Lebensfreude und Lebenskraft.
Weil ein solcher Mensch
im tiefsten inneren frei wird.
Frei vom Urteil anderer.
Frei von Erfolgskategorien dieser Welt.
Frei davon, mit dem
eigenen Leben oder Lebensstil irgendwelche Bedeutung zu erlangen.
Eine solche Haltung der Freiheit
kann gefährlich werden für die Gewalt- und Machtstrukturen der Welt.
Wie sagte Martin Luther
King am 28. August 1963:
„Lass die Freiheit
klingen! Und wenn das passiert und wir das erlauben, dann werden wir schneller
an dem Tag sein, an dem Schwarze und Weiße, Juden und Heiden, Protestanten und
Katholiken fähig sind, sich die Hände zu reichen und in den Worten des alten
Spirituals zu singen:
Endlich frei! Danke
allmächtiger Gott, wir sind endlich frei!“
Ja, Ohnmacht und Schwäche
können zur Stärke führen, zu einer Glaubensheiterkeit wie Spitta sagt und zu
einer inneren Freiheit, die die Welt bewegt.
Das ist das Zeugnis des
Kreuzes.
Der sterbende Mann am
Kreuz hat mehr verändert als all die Armeen der Welt.
Der Gefolterte wird zum
Symbol der Freiheit.
Einer Freiheit, die der
Tod nicht schrecken kann.
Weil er, der Tod, nicht
das letzte Wort hat.
Fröhliche
Christenmenschen dürfen wir sein mitten in einer Welt, die uns manchmal drückt
mit all ihrem Unrecht und Krieg.
Die Zurechnung von
Torheit kann uns nicht schrecken. Und Schwachheit ist kein Schimpfwort für uns.
Also: Fröhliche
Weltkinder dürfen wir sein, engagiert und getröstet, verlacht und ermutigt,
gestärkt und klar im Engagement für die Welt, die Gott liebt.
Jetzt und hier und in
Gottes zukünftiger Welt: „What a Wonderful
World!“
Amen